Die Forschung legt eindeutige Ergebnisse zu den wichtigsten Kommunikations-Schwierigkeiten von Paaren vor: Die Interaktion eines Paares hat entscheidenden Einfluss auf die Qualität und die Stabilität der Paarbeziehung. Bedeutsam ist dabei vor allem die Interaktion im Konflikt.
Der amerikanische Psychologe und Beziehungsforscher John M. Gottman hat dieses Feld über mehrere Jahrzehnte hinweg in den wohl umfangreichsten und differenziertesten Studien erforscht. Dazu hat er an der University of Washington in Seattle ein „Paarlabor“ eingerichtet, in dem Paare für eine gewisse Zeit miteinander lebten und ihre Interaktionen aufgezeichnet wurden.
Gottman zeichnete die Paare in Alltagssituationen, in Konfliktsituationen, in Stress-Situationen in ihrer Interaktion auf Video auf. Er untersuchte eine Vielzahl weiterer Parameter wie Herzschlag, Blutdruck, Stresshormone usw.
Aufgrund dieser Forschung konnte Gottmann und sein Team schließlich sehr präzise Angaben darüber machen, welche Verhaltensweisen und welche emotionalen Zustände zu Zufriedenheit oder Unzufriedenheit in der Paarbeziehung führten. Und was zum Weiterbestehen der Paarbeziehung oder zur Trennung führt. Mit einer Präzision von über 90% konnten sie schließlich die Trennung eines Paares und sogar den Zeitraum der Trennung vorhersagen.
Die entscheidenden Merkmale, die eine Beziehung in die Krise treiben, hat Gottman unter dem Begriff der „vier apokalyptischen Reiter“ zusammengefasst. Während im biblischen Kontext die apokalyptischen Reiter den Weltuntergang ankündigen, bezeichnen sie in der Paar-Beziehung diejenigen sehr negativen Verhaltensweisen, die fast zwangsläufig zu anhaltenden Konflikten und Streit und letztlich zur Zerrüttung der Paarbeziehung führen. Ihr Vorhandensein erhöht die Gefahr von Trennung und Scheidung eines Paares stark.
Der erste Reiter: KRITIK
Unzufriedene Paare neigen dazu, sich gegenseitig mit scharfen, oftmals verletzenden Worten zu kritisieren. Dabei wird insbesondere die Persönlichkeit des anderen kritisch ins Spiel gebracht.
Sicher: in jeder Beziehung gibt es Dinge und Situationen, die einem nicht gefallen. Doch es gibt einen großen Unterschied zwischen einer Beschwerde und einer Kritik. Eine Beschwerde bezieht sich auf eine konkrete Situation, bei der Sie das Gefühl haben, dass Ihr Partner etwas falsch gemacht hat. Kritik ist dagegen sehr viel weitreichender: es kommen negative Bemerkungen über den Charakter oder die Persönlichkeit Ihres Partners hinzu.
„Ich finde es richtig blöd, dass du gestern die Küche nicht mehr aufgeräumt hast. Wir hatten vereinbart, dass wir das abwechselnd machen. Und du warst gestern dran!“ Das ist eine Beschwerde.
„Warum bist du so vergesslich? Ich hasse es, dir immer alles hinterher räumen zu müssen. Ich habe schon wieder die Küche aufräumen müssen, obwohl du eigentlich dran warst. Aber dir ist das einfach egal. Und Vereinbarungen zählen für dich sowieso nicht!“ Das ist Kritik.
Eine Beschwerde konzentriert sich auf ein bestimmtes Verhalten in einer bestimmten Situation. Kritik hingegen macht die Sache größer. Es kommen Schuldzuweisungen, Generalisierungen und eine generelle Verurteilung des Charakters hinzu. Und das hat Wumms.
Weiteres Beispiel:
Beschwerde: Ich wäre gern gefragt worden, ehe du jemanden zum Essen einlädst. Ich hätte den Abend gern mit dir allein verbracht.
Kritik: Warum sind dir deine Freunde immer wichtiger als ich? Ich stehe auf deiner Liste immer ganz hinten. Wir wollten doch den Abend endlich mal wieder zu zweit verbringen.
Dieser erste Reiter kommt in vielen Beziehungen vor. Das heisst: es ist nicht unwahrscheinlich, dass Sie sich in diesem Verhalten auch wiederfinden. Das allein ist noch kein Drama und nicht das sichere Ende Ihrer Beziehung. Aber: Das Problem mit diesem Reiter der Kritik ist die Häufigkeit. Wenn diese Art der Kritik zur Gewohnheit wird, dann öffnet sie den anderen, sehr viel gefährlicheren Reitern die Tür.
Der zweite Reiter: VERTEIDIGUNG (oder auch RECHTFERTIGUNG)
Als Reaktion auf Kritik zeigt der kritisierte Partner häufig eine Form der Verteidigung. Man könnte meinen, dass Verteidigung oder Rechtfertigung eine völlig normale und legitime Reaktion ist in einem Konflikt mit einem angreifenden Partner. Die Forschung zeigt jedoch, dass dies als Reaktion maximal negativ auf die weitere Auseinandersetzung wirkt. Der Grund: Indem der eine versucht sich zu verteidigen und seine Position zu erklären, fühlt der andere sich in seiner Kritik nicht gehört und übergangen. Auf seine Bedürfnisse und Gefühle wird nicht eingegangen.
Beispiel: „Ich habe aber den ganzen Tag gearbeitet und sowieso hatte ich eine ultraschwere Woche, da habe ich nicht immer die Zeit die Küche sofort aufzuräumen.“ Das mag für den Angegriffenen so stimmen. Aber es lässt den anderen in seinem Unmut alleine und unbeantwortet. Es entsteht das Gefühl, in seinem Anliegen nicht so wichtig genommen zu werden.
Hier wäre es für den Kritisierten wichtig, zu verstehen, was jetzt das eigentliche Anliegen des Partners ist und ihm damit auch Verständnis für seine Gefühle und seine Situation zu signalisieren. Aber klar: Im Rahmen eines Streits ist das natürlich nicht die einfachste und naheliegendste Verhaltensweise.
Der dritte Reiter: VERACHTUNG
Ein Kommunikationsstil, der gegenüber dem Partner geringe Wertschätzung, ja sogar Verachtung ausdrückt, kommt in der Regel nicht aus heiterem Himmel, sondern ist eine Folgeerscheinung von vorangegangenen Verletzungen.
Sarkasmus und Zynismus sind typische Ausdrucksformen der Verachtung. Dasselbe gilt für Verfluchen, Verhöhnen, Augenrollen und respektlosen, abschätzigen Humor.
Die Verachtung ist der gefährlichste der vier Reiter. Sie drückt Abneigung aus. Und wirkt daher immer vergiftend auf eine Beziehung. Wenn der Partner sich abgelehnt fühlt, ist es so gut wie unmöglich ein Problem zu lösen. Damit vertieft Verachtung zuverlässig den Konflikt und führt beim Partner zu maximal negativen Effekten auf körperlicher und emotionaler Ebene.
Der vierte Reiter: MAUERN (oder auch RÜCKZUG)
Während eines normalen Gesprächs zwischen zwei Menschen gibt der Zuhörer dem Redenden alle möglichen Signale, um zu zeigen, daß er auch wirklich zuhört. Er schaut ihn an, nickt mit dem Kopf, sagt Dinge wie „Ja“ oder „Hmm“.
Wer hingegen mauert, der gibt nichts zurück. Er schaut weg oder zu Boden und gibt keinen Laut von sich. Er sitzt da wie eine reglose Wand. Wer mauert, der verhält sich so, als wäre ihm, selbst wenn er zuhören würde, völlig gleichgültig, was der andere sagt.
Dieses Verhalten spiegelt einen fortgeschrittenen Verfall der Paarbeziehung wider: die Partner geben sich keinerlei Rückmeldungen mehr. Sie begegnen sich mit einem rigiden und harten Ausdruck. Entweder mimisch unbewegt oder voller Mißfallen sowie ohne Blickkontakt. Im Grunde wird der Kontakt zum anderen völlig gekappt. Kontaktangebote des anderen werden nur noch mit Schweigen beantwortet. Dies wird vom Partner als extreme Ablehnung, Distanzierung und Feindseligkeit erlebt.
Mauern tritt gewöhnlich später im Verlauf einer Ehe auf als die drei anderen Reiter. Es dauert eine Zeit, bis die von den drei ersten Reitern erzeugte Negativität so überwältigend wirkt, dass das Mauern sich als Ausweg anbietet.